Dr. rer. pol. Karl Branner, 1963 bis 1975

Branner (11.09.1910 bis 17.10.1997) wuchs in der Unterneustadt auf. Ab 1952 gestaltete er als Stadtverordneter der SPD, Bürgermeister und Oberbürgermeister (1963-1975) den Wiederaufbau des zerstörten Kassels mit. Er setzte sich mit Nachdruck für die 1972 erfolgte Gründung der heutigen Universität ein.

Dr. rer. pol. Karl Branner

Dr. rer. pol. Karl Branner

Im Mai 1933 trat er in die NSDAP ein und war u.a. im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund. Er übernahm für seine Doktorarbeit den rassistisch-antijüdischen Ansatz seines Doktorvaters, der nach 1945 wegen seiner nationalsozialistischen Ansichten nicht wieder ins Beamtenverhältnis übernommen wurde

Während seiner Zeit als Soldat im Kriegseinsatz von 1939 bis 1945 wurde er nach dem 20.Juli 1944 wegen Wehrkraftzersetzung zu 10 Monaten Gefängnis mit Rangverlust verurteilt. Die Strafe wurde im April 1945 auf 3 Monate abgemildert. Von 1945 bis 1949 war er Kriegsgefangener in einem Lager im früheren Jugoslawien. Dort war er führend in einem „Antifaschistischen Ausschuss“ tätig, der vorwiegend die Umerziehung und Beeinflussung der deutschen Kriegsgefangenen im Geist des jugoslawischen Kommunismus zum Ziel hatte.

Dr. Karl Branner hat nach 1949 -wie sehr viele in dieser Generation-zu seiner Rolle im Nationalsozialismus geschwiegen. 1963 fand eine kurze öffentliche Debatte zu den Inhalten seiner Doktorarbeit statt.

In einer 2015 veröffentlichen Studie im Auftrag der Stadt ist sein Lebenslauf ausführlich dokumentiert. Dort heißt es: „Öffentlich hat er die Rolle des Widerstandskämpfers nach allem, was wir wissen, nie in Anspruch genommen.“ 

Und weiter heißt es: „An der Spitze der Stadt Kassel stand zwischen 1963 und 1975 kein Nationalsozialist, sondern ein ehemaliger Nationalsozialist, der sich in längeren Anpassungs-, Wandlungs- und Lernprozessen zum Demokraten entwickelt hatte.“ Die Studie spricht von Branner und seinen beiden Vorgängern als „deutsche Normalbiographien des 20.Jahrhundert“. Die Studie „Vergangenheiten“ wurde von Sabine Schneider im Auftrag der Stadt erarbeitet und ist im Schüren-Verlag 2015 erschienen.