Sicherheitsgefühl: Bundesweit einmaliges Experiment

Was müsste getan werden, um die Sicherheit in ihrer Stadt zu verbessern? Eine Frage, die in der Regel von knapp 70 Prozent der Teilnehmenden nationaler wie internationaler Befragungen mit den selben Schlagworten beantwortet wird: mehr Polizeipräsenz.

Umso erstaunlicher ist, dass bislang kaum aussagekräftige wissenschaftliche Untersuchungen darüber vorliegen, ob die Präsenz auch zu den gewünschten Effekten führt.  Vor diesem Hintergrund startete die Professur für Kriminologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen (JLU) in Kooperation mit dem Polizeipräsidium Nordhessen und der Stadt Kassel ein bundesweit einmaliges Experiment.  

Die Bestreifung ausgewählter Rasterzellen wurde durch zwei Polizistinnen und Polizisten durchgeführt. Ein Funkwagen wurde währenddessen im Gebiet geparkt.

OB Schoeller: Sicherheit hat positive Auswirkungen auf die Lebensqualität

„Wo Menschen sich sicher fühlen hat das auch unmittelbar positive Auswirkungen auf die Lebensqualität einer Stadt. Daher genießt der Aspekt der Sicherheit bei Fragen der Stadt- und Verkehrsplanung, aber auch beim konsequenten Vorgehen gegen Ruhestörungen und andere Belästigungen bei uns hohe Priorität“, sagt Oberbürgermeister Sven Schoeller. In der Bekämpfung von Kriminalität setzt die Landespolizei auf den erprobten Mix aus Prävention und Verfolgung, um Tatgeschehen einzudämmen und zu ahnden, wie Polizeipräsident Konrad Stelzenbach erläutert: „Wenn die Polizei sichtbar handelt, kann neben der Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten durch die abschreckende Wirkung der offenen polizeilichen Maßnahmen auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und damit auch das Vertrauen in den Rechtsstaat nachhaltig gestärkt werden.“ 

Aber ist hierfür präventive Polizeipräsenz, also das Bestreifen der Fläche ohne Berücksichtigung besonderer Anlässe das geeignete Mittel? 

Das Fazit von Projektleiter Tim Pfeiffer von der Professur für Kriminologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen (JLU) fällt nach einem bundesweit einmaligen, und ein Jahr laufenden Feldexperiment anders aus. „Paradoxerweise kann die Wahrnehmung von Polizeipräsenz furchtsteigernd auf die Menschen wirken, selbst wenn sie sich vorher genau diese Maßnahme zur Verbesserung der Sicherheit gewünscht haben. Sehen Menschen z.B. beim Blick aus dem Wohnungsfenster häufiger die Polizei, so kann sich das negativ auf das Sicherheitsgefühl auswirken. Es scheint die Meinung vorzuherrschen: Wo Polizei ist, da passiert auch was.“

„Das ist daher so interessant, weil die Präsenz der Kolleginnen und Kollegen unserer Stadtpolizei bei ihren nächtlichen Streifenfahrten oder aber an, Hot-Spots‘, wo Ordnungswidrigkeiten und Straftaten zur Tagesordnung gehören, von der Bevölkerung durchweg positiv bewertet wird“, nennt Ordnungsdezernent Heiko Lehmkuhl ein differenziertes Stimmungsbild zur Präsenz von Ordnungskräften.

Für die Untersuchung wurde das Stadtgebiet in 250 Meter x 250 Meter große Rasterzellen aufgeteilt. Diese Ansicht zeigt exemplarisch eine Rasterzelle in Kirchditmold zwischen Hohnemannstraße und Zentgrafenstraße.

Seine Bewertung zieht Pfeiffer u.a. aus zwei stadtweit durchgeführten Befragungen in den Jahren 2022 und 2023, in denen zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger Auskunft über ihr Sicherheitsgefühl gaben und ihre Eindrücke zu sicherheitsrelevanten Themen schilderten. Ohne es – der Grundvoraussetzung eines Experiments entsprechend – den Befragten oder der Öffentlichkeit mitzuteilen, fand zwischen den Befragungen eine gezielte Verstärkung der Streifentätigkeit uniformierter Polizistinnen und Polizisten statt. Für die wissenschaftlich gesicherte Studie war die Stadt in Rasterzellen aufgeteilt worden, die jeweils 250 x 250 Meter maßen. Die insgesamt 953 bewohnten Zellen waren durch verschiedene Prozessschritte zunächst reduziert worden, so dass zu Beginn des Experiments 20 zufällig ausgewählt werden konnten und zusätzlich noch 20 Kontroll-Zellen definiert wurden, in denen es keine Veränderung der Polizeipräsenz gab. 

In den nun 20 ausgewählten Zellen erfolgte über einen Zeitraum von zwölf Monaten eine verstärkte Streifentätigkeit in der Form, dass drei Mal pro Woche jeweils zwei Polizistinnen und Polizisten ca. 15 Minuten im Rahmen von Fußstreifen in der Rasterzelle unterwegs waren, der Funkwagen war währenddessen dort geparkt. 

„Dank der Unterstützung durch die Bereitschaftspolizei konnte das Projekt personell geschultert werden. Die polizeilichen Aufgabenbereiche erfordern eine gezielte Personal- und Einsatzplanung und die für das Experiment erforderlichen Fußstreifen waren in dieser Form nur mit zusätzlichem Personal möglich“, erläutert Uwe Papenfuß, Leiter Einsatz beim Polizeipräsidium Nordhessen die besondere Dienstplanung.  

Bei den rund 18.000 zufällig gezogenen Personen in den 40 zu untersuchenden Gitterzellen betrugt die Rücklaufquote der ersten Befragungswelle im Jahr 2022 25,5 Prozent. Von diesen nahmen immerhin 61,8 Prozent auch an der Zweitbefragung gut ein Jahr später teil. Tim Pfeiffer: „Ganz gleich, welche Ergebnisse die erste randomisierte Kontrollstudie in Deutschland zum Einfluss von Polizeipräsenz auf das Sicherheitsgefühl und die polizeilich registrierte Kriminalitätslage auch zu Tage fördert, am Ende wird das sprichwörtliche Schulterzucken bei der Beantwortung dieser grundlegenden Frage auch hierzulande endlich Geschichte sein.“ Der ausführliche Forschungsbericht befindet sich gerade in der Fertigstellung und wird noch in diesem Jahr erscheinen.   

„Unsere Ordnungskräfte müssen und können nicht überall sein – aber sie versuchen immer dort zu sein, wo sie gebraucht werden“, halten Oberbürgermeister Sven Schoeller und Polizeipräsident Konrad Stelzenbach abschließend fest.