Kai Artinger: Raubkunst - Kunstraub. 19 Werke und ihre Geschichten
Ein Tipp von Hendrik Bühnemann
Der Kunsthistoriker Kai Artinger vom Kunstmuseum Stuttgart stellt in seinem neuen Buch verschiedene Fälle aus dem Bereich der Raubkunst bzw. des Kunstraubes vor. Durch die geraubte oder käufliche Aneignung von Kunstgegenständen wurden zum Beispiel während der Kriegswirren des 2. Weltkrieges reiche Juden um ihre Kunstsammlungen gebracht. Und auf eine ähnliche Weise gelangten die Werke wie die Nofretete-Büste vom Fundort in Kairo in das Ägyptische Museum nach Berlin. Im Zuge aktueller historischer Debatten befassen sich immer mehr sogenannte Provenienzforscher mit der Frage, wer die ursprünglichen Besitzer der Kunstwerke waren und wie diese Kunstwerke wieder an die Nachkommen zurückgegeben werden können. Das sind teils sehr komplizierte Fälle, die sich oft spannend wie ein Krimi lesen. So wurden im Jahr 1897 die Benin-Bronzen, 5000 Jahre alte Messing-Gegenstände, bei der Eroberung des Königreiches Benin durch die Briten als Beutekunst mit nach London genommen. Wenige Jahre später wurden diese Bronzen an Kunstmuseen in London, Berlin und Wien verkauft. Erst im Jahr 2022 kam es zwischen der nigerianischen Regierung, auf deren Boden das alte Benin heute liegt, und den beteiligten europäischen Ländern zu einer Einigung für die Rückgabe der Gegenstände. Das zeigt, dass erst in heutiger Zeit das Bewusstsein für diese Raubkunst bei den europäischen Ländern und ihren Museen entstanden ist. Durch die verschiedenen Kunstwerke und die verschlungenen Wege, den diese Kunstwerke genommen haben und die Detektivarbeit der Kunsthistoriker, diese Kunstwerke wieder aufzuspüren, liest sich das Ganze sehr spannend. Das ist etwas für historisch Interessierte, es ist ein Buch für Kunstliebhaber. Das Buch ist ein echter Geheimtipp für Leser, die mal was ganz anderes lesen wollen.
Standort: In der Zentralbibliothek (im Untergeschoss, Signatur Q 07 Art)
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Tipps der letzten Monate
Charlotte von Feyerabend: Seid nett aufeinander
Ein starker Roman über das abenteuerliche Leben von Beate Uhse: Beate Uhse, geborene Köstlin, wird im Oktober 1919 auf einem stattlichen Gut in Ostpreußen geboren. Sie genießt eine behütete, unbekümmerte und freie Kindheit. Schon früh träumt sie vom Fliegen, möchte später Pilotin werden. Die Eltern unterstützen und fördern das Kind in jeglicher Hinsicht. Beates Mutter war eine der ersten Ärztinnen Deutschlands. Von ihr wurde Beate gründlich aufgeklärt und sogar über gängige Verhütungsmethoden informiert. Als Jugendliche verlässt sie Ostpreußen und geht auf die neuartige „Schule am Meer“ auf Juist, eine reformpädagogische Einrichtung, die auf „ganzheitliche“ Bildung setzt: auf Musik, Natur, Handwerk. In der Fliegerschule Rangsdorf nahe Berlin beginnt Beate 1937 ihre Flugausbildung. Als Frau muss sie sich durch Leistung behaupten, wird Einfliegerin bei einem Flugzeugbauer und fliegt auch im Zweiten Weltkrieg, überführt Maschinen für die Luftwaffe. Ihr Ehemann Hans-Jürgen Uhse ist auch Pilot, er verunglückt 1944. Vor dem Einmarsch der Roten Armee gelingt ihr die Flucht nach Schleswig-Holstein, wird dort mit ihrem Sohn heimisch. Aus der Not der Nachkriegsjahre heraus, entwickelt sich Beate Uhse zur Aufklärerin - über die weibliche Fruchtbarkeit, mit ihrer Aufklärungsbroschüre, die sie "Schrift X" nannte. Denn Beate Uhse hat einen Traum: Jede Frau soll das Recht auf einen Orgasmus haben! So wird nicht nur ihr unternehmerisches Talent geweckt, sondern auch ihr Wunsch, für die sexuelle Befreiung der Frau zu kämpfen – die Geburt einer Legende und der Beginn eines Imperiums, das jeder kennt…
Die Autorin Charlotte von Feyerabend hat gründlich recherchiert, deshalb ist ihr Roman reich mit Fußnoten versehen. Das unterscheidet diese Biografie wesentlich von anderen. Es ist die Roman-Biografie einer beeindruckenden, mutigen Frau. Man wird mit anderen Augen auf Beate Uhse schauen und verstehen, was diese Frau wirklich geleistet hat.
Ein Tipp von Sabine Koch
Standort: In der Zentralbibliothek im Untergeschoss, Bereich Romane (Signatur Fey 2) und als eBook in der Onleihe.
Alina Herbing: Tiere, vor denen man Angst haben muss
Es ist Herbst, es ist eiskalt, ein abbruchreifes Haus voll mit wilden Tieren, die auf dich lauern, sobald du dein Zimmer verlässt… Wer jetzt denkt, dass dies der Beginn eines atemberaubenden Horrorschockers ist, irrt.
Alles beginnt Anfang der 1990er‐Jahre: die DDR ist untergegangen, viele neue Möglichkeiten eröffnen sich und so vermeintlich auch für die Familie, die in diesem Roman im Mittelpunkt steht. Sie erwerben ein heruntergekommenes Haus inmitten der Einöde von Mecklenburg‐Vorpommern. Es gibt kein fließendes Wasser, das Plumpsklo steht am Rande einer Viehweide und ständig ist es kalt. Die Mutter möchte ihren Traum von einem antikapitalistischen Leben verwirklichen, überzeugt davon, dass in der DDR alles besser gewesen sei. Der Vater hält es in dieser verordneten Einfachheit nicht lange aus und macht sich mit den drei älteren Kindern bald aus dem Staub. Nur die jüngsten Geschwister Madeleine und Ronja bleiben bei der Mutter, die aus falsch verstandener Tierliebe heraus Hunde, Katzen, Ziegen und Wildschweine in immer größerer Zahl anschleppt. Die Tiere bekommen von der Mutter die gesamte Aufmerksamkeit und Fürsorge, für ihre Kinder bleibt oft nur ein Schulterzucken übrig.
Dem Leser bietet sich im Laufe der Geschichte ein Bild, das immer mehr von vertauschten Rollen geprägt wird. Die Kinder müssen ihren Alltag größtenteils allein stemmen und viel Verantwortung übernehmen. Die Mutter hingegen setzt ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen ihren Willen durch und verliert zunehmend den Blick für die Realität. So ignoriert sie, wie das Haus immer mehr verkommt und zunehmend unbewohnbar wird. Durch die klare Sprache und die ebenso scharf gezeichneten Bilder entsteht das Gefühl, von den ekligen Gerüchen, dem immensen Chaos und der Kälte umgeben zu sein. Ein Roman, der noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
Ein Tipp von Carolin Orthofer
Standorte: In der Zentralbibliothek (im Untergeschoss, Romane, Signatur Her 13) und in Niederzwehren (Signatur Her 13).
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Helene Kilb: Resteliebe Tapeten. Alles verwenden, nichts verschwenden, die schönsten Ideen aus Tapetenresten
Es ist mal wieder so weit: Das große Renovieren steht an, natürlich inklusive Tapezieren. Wohnzimmer, Gästezimmer, Kinderzimmer… Mit Tapeten verschiedenster Art, von denen selbstverständlich wieder mal einiges übrigbleibt, da kann man noch so gut planen. Und was wird dann aus den Resten? Die schmeißt man weg, ja? Nein! Dieses Buch zeigt wunderschöne Bastelideen für Tapetenreste. Ob Papiertapeten, Naturtapeten, Textiltapeten, sogar für Metalltapeten. Was auch immer es für eine Tapete ist, es gibt Bastelvorschläge. Für nützliche Dinge, für Accessoires und Geschenke. Sehr schön bebildert und vor allem gut erklärt.
Für alle Bastelfans, die nicht gerne Reste wegwerfen.
Ein Tipp von Christine Rettig
Standort: In der Zentralbibliothek (im Untergeschoss, Signatur Z 42.9 Kil)
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Angelika Overath: Ein Winter in Istanbul
Den 45-jährigen Gymnasiallehrer Cla verschlägt es im Rahmen eines Stipendiums von seiner internationalen Schweizer Schule in eine dreimonatige Beurlaubung nach Istanbul. Währenddessen bleibt in der Schweiz seine Freundin Alva, ebenfalls Lehrkraft, Mitte 30, zurück. In einem der zahlreichen Lokale mit Aussicht auf den Bosporus sitzend, erhascht er einen Blick auf Kellner Baran. Die zwei Männer freunden sich an und beginnen, immer mehr Zeit miteinander zu verbringen.
In seiner Unterkunft im Stadtteil Tarabya will Cla einerseits zu Ruhe und andererseits in Schreiblaune kommen, um seine Arbeit über das Leben des mittelalterlichen Philosophen Nikolaus von Cues, besser bekannt als Cusanus, zu vollenden. Doch Cla bleibt seit seiner Begegnung mit Baran ein Getriebener seiner Gefühle. Die Autorin bringt in die Erzählung um Baran und Cla die Geschichte des Cusanus ein, der eine Gesandtschaftsreise vom Bosporus nach Venedig unternimmt, um an Verhandlungen über die Kircheneinheit teilzunehmen. Dies mutet zunächst ungewöhnlich an, verleiht der Geschichte aber eine zusätzliche historische Note, die die Lebenswege von Cla und Cusanus zu verknüpfen scheint.
Auf Barans und Clas Spaziergängen durch die pulsierende Metropole wird wie im Vorbeigehen viel Wissenswertes über die wechselhafte Geschichte der Stadt vermittelt, die im Laufe ihres Daseins viele Namen trug, ihre Identität nach Belieben der jeweiligen Herrscher veränderte und doch jedes Mal etwas Neues dazugewann, um sich zu dem Ort zu entwickeln, wie wir ihn heute erleben. Und so wie sich Istanbul wandelt, wandeln sich auch die Empfindungen zwischen Baran und Cla, als Alva plötzlich zu Besuch kommt…
Eine vielschichtige Geschichte darüber, wie hilfreich es sein kann, vertraute Pfade zu verlassen und den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, um herauszufinden, was man wirklich will.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Standort: In der Zentralbibliothek (im Untergeschoss, Romane, Signatur Ove 1)
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Sosuke Natsukawa: Die Katze, die von Büchern träumte
Für den in sich gekehrten Oberstufenschüler Rintaro bricht mit dem Tod seines Großvaters eine Welt zusammen. Denn das urige Buchladengeschäft – oder sollte man es eher Antiquariat nennen? -, das sein Opa leitete, ist für Rintaro als Bücherwurm der wichtigste Rückzugsort. Vor Trauer in sich versunken, verharrt er dort und bleibt der Schule fern, bis eine entfernte Verwandte ihn aufzunehmen droht. Die Zukunft des Literaturhorts steht auf der Kippe.
Da macht Rintaro die Bekanntschaft mit dem Kater Toraneko, der mit seinem prächtigen, rot gestreiften Fell seinem Namen alle Ehre macht. Der getigerte Kater entrüstet Rinatro nicht nur, weil er sprechen kann, sondern auch, weil er ihn dazu auffordert, bei der Rettung von in Not geratenen Büchern zu helfen. Das ist schon seltsam genug, aber für den bibliophilen Rintaro eine Ehrensache. Als auch noch unverhofft Rintaros Schulkameradin in die Angelegenheit hineingerät, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich ins Abenteuer zu stürzen...
Bezaubernd gelingt es dem japanischen Autor Sosuke Natsukawa, seiner literarischen Welt auf märchenhafte Weise Leben einzuhauchen. So sind es nicht Kapitel, die man während der Lektüre durchliest, sondern Labyrinthe, die es gemeinsam mit den Charakteren zu erkunden gilt. In jedem erwartet uns ein anderer Aspekt von Literaturbegeisterung und Bücherliebe, der ergründet werden muss, um die Rettungsmissionen zu erfüllen. Eine Geschichte, die man wie eine Tasse köstlichen Tee genießen sollte: in genießerischem Tempo und mit viel Bedacht, damit sich die raffinierten Aromen gut entfalten können.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Standort: In der Zentralbibliothek (im Untergeschoss, Romane, Signatur Nat 1) und als eBook in der Onleihe.
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Isabelle Autissier: Acqua alta
2021: Venedig ist von den Wassermassen eines letzten Acqua alta verschlungen worden. Guido Malegatti hat das Unglück schwer verletzt überlebt und fährt Monate später mit einem Boot durch die zerstörte, menschenleere Stadt, vorbei an eingestürzten Palazzi, zertrümmerten Gondeln. Er ist auf der Suche nach seiner Tochter Léa, die seit dem Unglück verschwunden ist. Seine Frau Maria Alba, Nachfahrin einer großen venezianischen Dogen-Familie, ist in den Trümmern ihres Hauses gestorben. Sie war ein Kind Venedigs, der Stadt mit ihrer erhabenen Geschichte und Schönheit verfallen.
Zwei Jahre zuvor: Angesichts des drohenden Meeresspiegelanstiegs bahnt sich der Konflikt innerhalb der Familie Malegatti an. Guido, der aus einfachen Verhältnissen stammt, ist erfolgreicher Bauunternehmer und Wirtschaftsstadtrat. Um die Brücken, Denkmäler und Kanäle instand zu halten, will er noch mehr Touristen anlocken. Und er ist überzeugt davon, dass das für viel Geld gebaute Stauwerk MO.S.E. mögliche Flutwellen aufhalten kann. Seine Frau Maria Alba schwelgt in der vergangenen Pracht einer Stadt am Rande des Zusammenbruchs. Und ihre 17-jährige Tochter Léa wird in dem Versuch, die geliebte Stadt zu retten, zur Gegnerin ihres Vaters. Als Umweltaktivistin macht sie auf die Probleme aufmerksam, will etwas verändern und überwirft sich mit ihrem Vater.
Die Autorin Isabelle Autissier war die erste Frau, die vor mehr als dreißig Jahren im Rahmen einer Regatta allein um die Welt segelte. Sie war zudem lange Jahre Präsidentin der größten Naturschutzorganisation der Welt, des WWF.
„Hier trifft Umweltschutz auf Kapitalismus - wer sich für diesen Kampf interessiert und Lust auf eine spannende, berührende und vor allem auch aktuelle Geschichte hat, sollte diesen Roman lesen.“ Christine Westermann, WDR
Ein Tipp von Sabine Koch
James Kestrel: Fünf Winter
Honolulu, 1941. Der ehemalige Soldat Joe McGrady lebt inzwischen auf Hawaii und arbeitet als Detective beim Police Department. Während er in einer Bar bei einem Whisky den Klängen der Jukebox lauscht, wird er vom Barkeeper ans Telefon gerufen – sein Chef hat einen neuen Fall für ihn. Ein Fall, der ihn über fünf Jahre hinweg beschäftigen und sein Leben für immer verändern wird.
Ein junger Amerikaner, der Neffe des Oberbefehlshabers der Pazifikflotte, und seine japanische Freundin wurden brutal ermordet. McGradys Ermittlungen führen ihn nach Hongkong – doch er gerät zur falschen Zeit an den falschen Ort. Inzwischen haben die Japaner Pearl Harbor bombardiert, Hongkong besetzt und befinden sich im Krieg mit den USA. McGrady wird als Kriegsgefangener nach Japan verschleppt, dort als potenzieller Spion angeklagt und in letzter Minute vor dem sicheren Tod gerettet – von einem japanischen Diplomaten, der eigene, mit dem Mordfall verbundene Interessen verfolgt.
In den folgenden Jahren lebt McGrady verborgen im Haus des Diplomaten. Dort wird er von dessen Tochter Sachi versorgt und taucht tief in die japanische Sprache und Kultur ein. Erst nach Kriegsende kehrt er nach Hawaii zurück, doch der ungelöste Mordfall lässt ihn nicht los. Nach fünf Wintern nimmt er die Ermittlungen erneut auf…
Obwohl das Setting zunächst ungewohnt erscheint, entfaltet der Roman eine enorme Sogkraft. Man folgt dem gradlinigen, aufrechten Ermittler mit Spannung bei seiner klassischen Polizeiarbeit, in brenzlige Situationen und an die pazifischen Schauplätze des Zweiten Weltkriegs. Auch die Begegnungen mit drei Frauen, die in diesen Jahren eine besondere Rolle in seinem Leben spielen, sind eindrucksvoll geschildert. Die einfühlsame Darstellung des Lebens in der japanischen Isolation und die Hinwendung zur japanischen Kultur verleihen dem Roman zusätzliche Tiefe. Kriminalfall, Liebesgeschichte und Kriegsroman – spannend bis zur letzten Seite. Ein außergewöhnlicher Roman, der lange nachklingt.
James Kestrel ist das Pseudonym des US-amerikanischen Autors und Anwalts Jonathan Moore, der mit seiner Familie auf Hawaii lebt. Sein Roman wurde mehrfach ausgezeichnet.
Ein Tipp von Petra Richter
Ruth Ware: Zero Days
Jack und ihr Ehemann Gabe haben einen eher ungewöhnlichen Beruf: sie sind so genannte „Pentester“, d.h. sie werden von Firmen angeheuert, um in deren Gebäude einzubrechen und die Sicherheitssysteme zu hacken. Das Paar ist äußerst erfolgreich, doch eines Abends findet Jack ihren Ehemann mit durchgeschnittener Kehle in ihrem gemeinsamen Zuhause vor. Es kommt noch schlimmer: die Polizei hält sie für die Mörderin! Jack flüchtet und ihr ist klar, dass sie den wahren Täter finden muss, um die Ermittlungsbehörden von ihrer Unschuld zu überzeugen.
Der Thriller der englischen Autorin ist packend und temporeich geschrieben, mit einer starken, sympathischen Hauptfigur, mit der man jede Sekunde mitfühlen kann. Die Geschichte ist gut aufgebaut, atmosphärisch dicht erzählt und hält die Spannung bis zum Ende aufrecht.
Ein Tipp von Sonja Göppert
Stephan Franke: Kassel im Aufbruch – die 50er Jahre
Die 50er Jahre sind wieder sehr gefragt. Auch heute noch sind die Spuren des Aufbruchs nach dem 2. Weltkrieg in der Architektur der Stadt Kassel gut sichtbar: das Staatstheater, die Treppenstraße und das AOK-Gebäude sind typische Gebäude jener Zeit.
Im Stadtarchiv Kassel wird der Bestand der Fotografen-Familie Eberth aufbewahrt und erschlossen. Im von Stephan Franke herausgegebenen Band unternimmt man einen Zeitreise in die 50er Jahre, eine Zeit des Aufbruchs. Nicht nur das neue Stadtbild wird den Leserinnen und Lesern vor Augen geführt. Man erhält über die Abbildungen und die erläuternden Texte auch einen wunderbaren Einblick in den Alltag der Menschen in dieser Zeit. Stephan Franke hat aus dem großen Fundus des Materials eine sehenswerte Auswahl getroffen.
Noch bis zum 8. September 2024 kann im Stadtmuseum Kassel die Ausstellung „Im Fokus – Die 50er Jahre in Fotografien“ besucht werden. Das Buch aus dem Wartberg-Verlag kann zur Vor- und Nachbereitung der Ausstellung sehr gut genutzt werden.
Allen, die sich für diese Zeit interessieren, ist das Buch von Stephan Franke sehr zu empfehlen.
Ein Tipp von Knut Hoffmann
Aravind Jayam: Teen couple have fun outdoors
In der Provinzidylle Trivandrums, einer Stadt an der Südspitze Indiens, herrscht trotz rasch fortschreitender Urbanisierung eine Dorfstruktur mit einer Alle-kennen-alle-Mentalität. Diese wird jäh erschüttert, als ein heimlich gefilmtes Video in Umlauf gerät, dass wegen seines frivolen, anrüchigen Inhalts natürlich wie eine Bombe einschlägt.
Das explizite Video geht viral und entwickelt sich in kürzester Zeit zum Hit. Den unfreiwilligen Stars, dem Pärchen Sreenath und Anita, Teenager aus gutbürgerlichem Hause, bleibt nichts anderes übrig, im Umgang mit dem medialen und sozialen Rummel unterschiedliche Strategien zu ersinnen, um den Frieden zwischen den Familien wieder einigermaßen herzustellen…
Besonders im Bezirk Blue Hills, wo die Familien von Sreenath und Anita leben, einer Siedlung für all jene, die sich den sozialen Aufstieg erarbeitet haben, geht es beschaulich zu, und alle Bewohner versuchen so gut wie möglich, die Contenance voreinander um jeden Preis zu bewahren. Aber auch das erkaufte Vorstadtparadies mit Einfamilienhäuschen, Honda Civic in der Einfahrt und Wachpersonal vor dem Zufahrtsweg kann den schönen Schein nicht länger aufrechterhalten.
Die soziale Kontrolle in Blue Hills ist hoch, die sozialen Anforderungen betreffend guten Ton, Höflichkeit und Benehmen noch höher. Kein Wunder, dass man schnell aneckt und in diverse Fettnäpfchen tappt, wenn man versucht, seine eigenes Lebensmodell zu verwirklichen…
Aravind Jayam gelingt es vorzüglich, uns durch die Augen von Sreenaths Bruder, dessen Namen wir nie erfahren, auf eine traurige und gleichzeitige urkomische Weise die Wünsche, Nöte und Zwänge junger Leute im modernen Indien zu erzählen. Es geht um die Sehnsucht, den eigenen Wurzeln und aufoktroyierten Zukunftsplänen zu entkommen und eine ganz eigene Vision seines Lebens zu verfolgen. Bissige Dialoge schildern diese belletristisch gelungene Auseinandersetzung zwischen Alt und Jung, bei der man oft gleichzeitig lachen und weinen möchte.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
M.W. Craven: Der Botaniker
Ein mysteriöser Serienkiller versetzt Großbritannien in Schrecken. Er schickt seinen Opfern Gedichte und getrocknete Blumen, bevor er sie vergiftet - und er kann offenbar durch Wände gehen, denn selbst Polizeischutz kann ihn nicht stoppen. Die Einheit der National Crime Agency um DI Stephanie Flynn und DS Washington Poe ist dafür da, Serienmörder zur Strecke zu bringen. Während die NCA zusammen mit der brillanten, aber sozial inkompatiblen Analystin Tilly Bradshaw versucht, das Rätsel um den mysteriösen Täter zu lüften, muss sich Poe auch noch um seine Kollegin und Freundin, die geniale Pathologin Estelle Doyle, kümmern, die unter Mordverdacht steht. Zwei Fälle, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Doch nicht nur Washington Poe muss erkennen, dass diesmal nichts so ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint.
„Der Botaniker“ ist ein packender und spannender Roman und der Auftakt einer neuen preisgekrönten Krimiserie aus Großbritannien.
Ein Tipp von Sabine Koch
John Lewis-Stempel: Wandern bei Nacht. Was wir in der Dunkelheit erleben können
John Lewis-Stempel, Farmer aus dem rauen Westen Englands, ist ein preisgekrönter Autor poetisch verfasster Naturbeobachtungen. Sein neuestes Werk „Wandern bei Nacht“ beschreibt seine Beobachtungen rund um seine Heimat Herefordshire nahe an der walisischen Grenze.
Auf vier nächtlichen Wanderungen, je eine pro Jahreszeit, erlebt Lewis-Stempel gemeinsam mit seinem Labrador Edith sinnliche Eindrücke der unterschiedlichsten Art. Und so schildert er davon in poetischer, ja teils blumiger Sprache seine Begegnungen mit wilden Tieren wie Füchsen, Wildschweinen, einem aufmüpfigen Dachs und zahllosen Vögeln inmitten der heimischen Fauna. Er ist dabei ein sehr aufmerksamer Beobachter sowie Zuhörer und verfügt über ein erstaunliches Wissen der Vorgänge in der Natur.
So erfährt der geneigte Leser wie nebenher die Unterschiede von Fröschen und Kröten beim Aufsuchen der Laichplätze, staunt darüber, wie gut der Autor im Dunkeln die Gesänge der Vögel erkennt und muss immer wieder schmunzeln über den liebevollen Umgang des Hundebesitzers mit seinem treuen Labrador.
Und immer wieder finden sich eingestreut passende Gedichte englischer Klassiker wie William Wordsworth oder Emily Dickinson wieder. Im abschließenden Epilog des Buches weist der Autor auf das allgemeine Problem der Lichtverschmutzung durch die zahlreichen, künstlichen Lichtquellen auf den Straßen hin. Ein Thema, dem in Europa noch viel zu wenig Bedeutung beigemessen wird.
„Wandern bei Nacht“ ist mit knapp über 100 Seiten ein schmales Büchlein voller poetischer Naturbeobachtungen aus der ländlichen Natur Englands. Ein Buch, welches insbesondere detailverliebte und poetisch veranlagte Naturfreunde ansprechen wird.
Ein Tipp von Hendrik Bühnemann