Vor 75 Jahren: Neubeginn der Demokratie in Kassel

Sie ist das oberste Organ der Stadt und Ausdruck der repräsentativen Demokratie – und hatte darum im Weltbild der Nationalsozialisten keinen Platz: Am 5. Juli 1946, vor 75 Jahren also, trat die Kasseler Stadtverordnetenversammlung zu ihrer ersten Sitzung nach der Nazi-Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg zusammen.

„Dieses Datum steht für Wiedergeburt und Neubeginn der Demokratie in Kassel“, so Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Martina van den Hövel-Hanemann und Oberbürgermeister Christian Geselle in einer gemeinsamen Erklärung.

Die Nazis hatten ab 1933 die demokratische Verfassung der Weimarer Republik ausgehebelt und alle staatlichen Ebenen auf Linie des Regimes gebracht. Auch die kommunale Selbstverwaltung passte dem „Führerstaat“ nicht: Ihre Beschlussorgane wurden aufgelöst, so auch die Kasseler Stadtverordnetenversammlung (31. Dezember 1933). Das Ende der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Jurisdiktion sowie der Pressefreiheit bahnte den Weg in den Abgrund und das Jahrhundertverbrechen: Holocaust, Millionen Kriegsopfer und ein in weiten Teilen zerstörtes Europa – alles verübt in deutschem Namen. Kassel war Teil dieser Kriegs- und Terrormaschinerie gewesen. „Damit sich ein solches Unheil nie wiederholt, müssen wir unsere Demokratie wertschätzen und schützen. Diese Lehre haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes gezogen, als sie das Fundament für die Bundesrepublik Deutschland legten. Doch wir alle müssen die demokratischen Werte als lebenswichtig verinnerlichen“, so Stadtverordnetenvorsteherin und Oberbürgermeister.

Hohe Wahlbeteiligung

Vor dem historischen Hintergrund sei es erstaunlich, dass die westlichen Besatzungsmächte, in Kassel die Amerikaner, den Menschen in Deutschland damals so schnell wieder Eigenverantwortung überließen. Wie groß das Interesse der Bevölkerung daran war, bewies sie bei der ersten Kommunalwahl am 26. Mai 1946 mit einer Beteiligung von 85,7 Prozent in Kassel. Auf die SPD entfielen 51,6 Prozent, CDU 25,5 Prozent, Liberal-Demokratische Partei 12,5 Prozent und Kommunistische Partei 10,4 Prozent. In ihrer ersten Sitzung im Hochzeitssaal der Stadthalle (der Sitzungsaal im Rathaus war zerstört) wählten die Stadtverordneten Christian Wittrock (SPD) zu ihrem Vorsteher und später dann Willi Seidel (SPD) als Oberbürgermeister, der am 7. April 1945 von der US-Armee kommissarisch eingesetzt worden war. 

Aufgaben

Die Stadtverordnetenversammlung hat eine herausgehobene Stellung in der kommunalen Selbstverwaltung. Ihre Aufgaben sind in der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) definiert: Sie trifft die wichtigen Entscheidungen und überwacht die Stadtverwaltung sowie die Geschäftsführung des Magistrats, insbesondere die Verwendung der Einnahmen. Sie stellt zudem den Haushaltsplan auf. Der Magistrat hat die Stadtverordnetenversammlung über wichtige Verwaltungsangelegenheiten laufend zu unterrichten. Alle fünf Jahre entscheiden die Bürgerinnen und Bürger bei der Kommunalwahl neu über ihre Zusammensetzung. 

„Nutzen Sie die Möglichkeit, vor Ort mitzuwirken, verfolgen Sie die kommunalpolitischen Diskussionen, und bringen Sie sich selbst für unsere Demokratie ein, damit unsere Stadt in eine gute Zukunft geht“, appellieren Stadtverordnetenvorsteherin Dr. van den Hövel-Hanemann und Oberbürgermeister Geselle abschließend.