1. Obergeschoss
Auf dieser Etage sehen Sie, wie sich das Leben in der Gegend von Kassel im Verlauf der letzten 300 Millionen Jahre entwickelt hat. Zahlreiche Fossilien und Rekonstruktionen veranschaulichen enorme Veränderungen der Lebensräume. Im Laufe der Erdgeschichte ist das Stückchen Erdkruste, auf dem Kassel heute liegt, mit der Kontinentaldrift viele tausend Kilometer auf der Erdkugel gereist! Es hat sowohl wüstenähnliches Klima als auch Eiszeiten erlebt, war Teil eines Gebirges und lag auf dem Meeresgrund.
Die Geologie der Region Nordhessen
Die geologische Karte der Region zeigt, welche Gesteine heute an der Erdoberfläche liegen und aus welchen Erdzeitaltern sie stammen. So deuten die olivgrünen Farben auf intensive Vulkantätigkeit vor 30 Millionen Jahren hin, während rosarote und blaue Töne auf Zeugnisse von Meeresüberflutungen in verschiedenen Zeitaltern hinweisen. Orange Farben zeigen die Reste ausgedehnter Wüsten des beginnenden Erdmittelalters an. Am Rand befinden sich regionale Fossilien als Beispiele.
Das "Kupferschiefermeer"
Unser Rundgang durch die Erdgeschichte beginnt mit dem Ende des Erdzeitalters Perm (vor etwa 250 Millionen Jahren). Zu dieser Zeit war unsere Gegend vom nährstoffreichen “Kupferschiefermeer“ überflutet. Auf seinem Grund befand sich eine sauerstofffreie, giftige Wasserschicht, in der kein Leben möglich war. So blieben alle Lebewesen, auch Haie, Rochen und Quastenflosser, die nach ihrem Tod nach unten sanken, erhalten. Im Laufe der Jahrmillionen entstanden daraus Fossilien von außergewöhnlich guter Qualität
Die Wüstenlandschaft
Im frühen Trias im Zeitalter Buntsandstein (vor 252-247 Millionen Jahren) lag unsere Region etwa auf Höhe des heutigen Nordafrikas. Das Meer hatte sich zurückgezogen und es entstand eine ausgedehnte Wüstenlandschaft, die über Millionen von Jahren enorme Sandablagerungen in unserer Region hinterließ. Direkt unter dem Naturkundemuseum zum Beispiel sind diese Schichten viele hundert Meter dick. Leider gibt es nur wenige Fossilfunde aus dieser Zeit. Sie beschränken sich hauptsächlich auf Spurenfossilien wie beispielsweise Fährten von Reptilien, die teilweise wie langbeinige Krokodile ausgesehen haben könnten.
Das Urmittelmeer
In der mittleren Trias im Zeitalter Muschelkalk (vor 247-235 Millionen Jahren) überflutete das Urmittelmeer für 12 Millionen Jahre unsere Region. Es hinterließ etwa 150 m mächtige Ablagerungen aus Kalkstein, den Muschelkalk. Im heutigen Nordhessen prägt er in Form von Höhenzügen mit steilen Abbruchkanten die Landschaft. Er beherbergt zahlreiche Fossilien, die von einem zum Teil artenreichen Meeresleben zeugen. Riesige, räuberische Meeresreptilien und Pflasterzahnechsen gehörten dazu.
Die Zeit der Dinosaurier
Während der „Dinosaurierzeit“ in den Zeitaltern späte Trias, Jura und Kreide (vor 235-66 Millionen Jahren) hat es auch in der Region um Kassel Dinosaurier gegeben. Der Plateosaurus aus der Trias-Zeit war ein früher Vorläufer der riesigen Langhals-Dinosaurier. Mit seinem einfach gebauten Gebiss riss er Pflanzen ab und verschlang sie. Anders als dargestellt, bewegte er sich meist auf allen Vieren. Der modernere Iguanodon - dessen Modell auch vor unserem Haus steht - lebte in großen Herden und wird deshalb „Kuh der Kreidezeit“ genannt. Er konnte mit einem Hornschnabel Pflanzen abreißen und sie mit seinen vielen Mahlzähnen zerkleinern. Alle drei Skelette sind Originalabgüsse.
Die Zeit der Säugetiere
Nach dem Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren war unsere Region für über 30 Millionen Jahre mit dichtem Regenwald bewachsen. In den sumpfigen Senken sammelten sich im Laufe der Jahrmillionen mächtige Schichten Pflanzenmaterial an. In der daraus entstandenen Braunkohle befinden sich unzählige Fossilien von Pflanzen und ehemaligen Urwaldbewohnern. Dazu gehörten auch Krokodile, Schildkröten, Papageien, Tapire und riesige Schlangen.
Das Eiszeitalter
Die Eiszeit (vor etwa 2,6 Millionen-12.000 Jahren) hinterließ in unserer Region mächtige Ablagerungen von Schotter und Löss (feinkörnige Ablagerungen durch Wind). Darin finden sich sowohl Tier- und Pflanzenfossilien als auch erstmalig Spuren menschlichen Lebens: Knochen, Waffen und Werkzeuge. Die eiszeitliche Szene zeigt eine Auswahl von Tieren, deren Knochen man zum Teil in unmittelbarer Nähe von Kassel gefunden hat sowie ein steinzeitliches Lager.
Die heutigen Waldlandschaften
Die heutige Naturlandschaft um Kassel ist äußerst vielgestaltig! Mit dem Reinhardswald, dem Kaufunger Wald, dem Habichtswald und dem Kellerwald sind große Teile unserer Region mit Laubwald bedeckt. Entdecken Sie hier über 150 typische Tierarten in ihren verschiedenen Lebensräumen.
Der lebendige Bienenstock
Ein besonderes Highlight ist unser lebendiges Honigbienen‐Volk! Beobachten Sie die emsigen Bienen bei ihrer Arbeit. Doch beim Thema Bienen geht es nicht nur um das „wohl behütete Haustier“ Honigbiene, sondern auch um die fantastische Vielfalt der über hundert in Kassel heimischen Wildbienenarten! Diese sind zum größten Teil in ihrem Bestand bedroht.
Die Artenvielfalt auf Halbtrockenrasen
Besondere Hotspots der Artenvielfalt sind die für unsere Region typischen Halbtrockenrasen. Sie sind durch jahrhundertelange Weidenutzung auf den kargen Böden des nordhessischen Muschelkalks entstanden.
2. Obergeschoss
Auf dieser Etage geht es um die bewegte Vergangenheit dieses Hauses: des Ottoneums.
Das älteste Theatergebäude Deutschlands
Landgraf Moritz ließ das Ottoneum um 1606 als erstes feststehendes Theatergebäude Deutschlands bauen und benannte es nach seinem Lieblingssohn Otto. Dieser steht hier übrigens in einer Theaterszene selbst auf der Bühne.
Das Theater wird zum "Kunsthaus"
Die größte Veränderung erlebte das Ottoneum im Jahr 1696: Landgraf Karl I. ließ das Gebäude von Grund auf umbauen, um im „Kunsthaus“ die umfangreichen landgräflichen Sammlungen zu präsentieren. Antike Skulpturen, Gemälde und andere Kunstgegenstände, aber auch technische Apparaturen und ein Naturalienkabinett waren in den Räumen auf mehreren Etagen zu sehen. In einer Kuppel war ein Anatomiesaal untergebracht und es gab hölzerne Aufbauten für astronomische Beobachtungen.
Das Herbar Ratzenberger
Schon Mitte des 16. Jahrhunderts legte der erste Landgraf von Hessen-Kassel, Wilhelm der Weise, Grundlagen für eine Kunst- und Wunderkammer. Das sogenannte Herbar Ratzenberger - gesammelt ab 1556 von Caspar Ratzenberger - ist die älteste wissenschaftlich-systematische Pflanzensammlung Deutschlands. Es kam 1592 in die Sammlung. Für die Lehre hatten die echten Pflanzen des Herbariums klare Vorteile gegenüber den alten mit Holzschnitt-Bildern versehenen Kräuterbüchern. Es grenzt an ein Wunder, dass diese Bücher alle Kriege und Brände bis heute überstanden haben.
Fabelwesen in der Wunderkammer
Da zu landgräflicher Zeit noch weite Bereiche der Natur unerforscht waren, kamen auch Teile von vermeintlichen Fabelwesen in die Wunderkammern. Diese „Einhorn-Hörner“ wurden damals für sehr viel Geld erstanden, da sie zu Pulver zerrieben gegen Gifte und Verletzungen schützen sollten. Erst später wurde der Betrug klar, denn es handelt sich um die Stoßzähne männlicher Narwale aus den nördlichen Meeren.
Das Ottoneum als Forschungsstätte
Nach dem Umbau von 1696 waren die naturkundlichen Sammlungen ein Teilbereich des Kunsthauses. Etwa so könnte es ausgesehen haben, wenn Landgraf Karl durchreisenden Adligen und Wissenschaftlern seine Naturaliensammlung präsentierte. Um seine Sammlungen für Lehrzwecke zu nutzen, wurde 1709 im Ottoneum das Collegium Carolinum eingerichtet. Bis 1792 bereiteten hier zum Teil international bekannte Professoren junge adlige Männer auf das Studium an der von Landgraf Philipp 1527 gegründeten Universität in Marburg vor.
Föten-Mumien
Die historischen Föten-Mumien aus der Sammlung des Ottoneums hinter dem Vorhang zeigen verschiedene pathologische Auffälligkeiten. Solche Präparate dienten wahrscheinlich, wie auch im heutigen Medizinstudium, als Anschauungsobjekte im Fach Anatomie. Alter und Herkunft sind nicht bekannt, wahrscheinlich stammen sie aus der Frühzeit des Collegium Carolinum.
Der "Goethe-Elefant"
Dieser Asiatische Elefant lebte von 1773 bis zu seinem Tod 1780 als besonderer Publikumsliebling in dem höfischen Tiergarten des Landgrafen Friedrich II. Unter Leitung des Anatomen Samuel Thomas Soemmerring wurde der Elefant als wahrscheinlich erstes Großsäugetierskelett präpariert. Später lieh sich der berühmte Dichter, Politiker und Forscher Johann Wolfgang von Goethe den Schädel des Tieres und wies daran die Möglichkeit einer Verwandtschaft zwischen Tieren und Menschen nach.
Die Schildbachsche "Holzbibliothek"
Carl Schildbachs Xylothek ("Holzbibliothek") entstand gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Aus dem Holz verschiedener Baum- und Straucharten bildete er jeweils eine Art „Scheinbuch“ und arrangierte im Inneren dreidimensional den Lebenszyklus der Pflanze mit Knospen, Blüten, Blättern und Früchten. Eingeklebte Legenden enthalten das damalige forstbotanische Wissen zur jeweiligen Art. Jedes einzelne der 530 Kästchen ist eine handwerkliche Kostbarkeit. Zur documenta 13 im Jahr 2012 entwarf der Künstler Mark Dion die schöne Vitrine, in der die Bücher heute bewahrt werden.
Exkurs: Überraschende Skelettfunde
Dieser Teil der Ausstellung widmet sich dem Schicksal von mindestens 119 Menschen, deren Skelette im Jahr 2008 bei Bauarbeiten auf dem Kasseler Universitäts-Campus gefunden wurden. Anthropologische Untersuchungen zeigten, dass es sich bis auf eine Frau um Männer im Alter von 14-50 Jahren handelte. Es waren napoleonische Soldaten aus den Benelux-Ländern, die nach der verlorenen Völkerschlacht bei Leipzig von ihren Truppen in Kassel zurückgelassen wurden. Im Herbst 1813 starben sie in einem Hilfslazarett in Kassel an ihren Verletzungen und an Lazarettfieber.