Konzept ist Grundlage für künftige Maßnahmen
Die Studienautoren des „Grobkonzepts“ halten unter günstigen Bedingungen die Klimaneutralität 2040 für machbar. Gleichzeitig sehen sie keinen gangbaren Weg für Kassel als Kommune, bereits 2030 oder 2035 klimaneutral zu sein. Grund hierfür sind u.a. Vorgaben des Gesetzgebers auf EU- und Bundesebene.
„Die Ergebnisse bringen einiges mehr an Klarheit für unseren weiteren Weg“, so Oberbürgermeister Sven Schoeller. „Die Studie wählt den methodischen Ansatz, ein realistisches Zieldatum für die Erreichung von Klimaneutralität angesichts zur Verfügung stehender finanzieller und personeller Ressourcen zu definieren. Gleichzeitig macht sie deutlich, in welcher Hinsicht die Stadt insofern auch der Unterstützung aus Bund, Land und Europa bedarf, um die Zielszenarien zu erreichen.“
Schoeller stellt zudem heraus, dass das Konzept über die Klimaneutralität hinaus wichtige Grundlage ist für Kassels Weg zu mehr Versorgungssicherheit und Energiesouveränität, gerade in geopolitisch unsicheren Zeiten wie heute.
Konzept enthält konkrete Einzelmaßnahmen
Das vorliegende Grobkonzept untersucht in vier Szenarien für die Jahre 2030, 2035, 2040 und 2045, mit welchen Mitteln Klimaneutralität in Kassel erreicht werden kann. Es wurde vom Klimaschutzspezialisten Ark Climate gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Bauphysik und der PTV Transport Consult erarbeitet. Die Erstellung des Berichts erfolgte in enger Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung, der KVV-Gruppe (Kasseler Verkehrs- und Versorgungs-GmbH und Tochterunternehmen) und externen Fachinstitutionen.
Stadtklimarätin Simone Fedderke ordnet die Studie ein: „Klimaschutzrat und Themenwerkstätten haben mit der Klimaschutzstrategie großartige Vorarbeit geleistet in der Beantwortung der Frage, was notwendig ist, um eine lebenswerte und klimaneutrale Zukunft zu ermöglichen. Die Strategie formulierte dutzende Vorschläge für Einzelmaßnahmen und Maßnahmenbündel, wovon sich einiges bereits in der Umsetzung befindet. Nennen kann man hier die stringente Förderung des Radverkehrs, die Pflanzung von Bäumen in Zielrichtung der 100.000 Bäume, die Eröffnung der Baustoff- und Materialbörse, der konsequente Zuwachs von Photovoltaik und vieles mehr. Was uns als Stadtverwaltung bisher fehlte, war ein konkreter Fahrplan, der die CO2-Wirkung von Maßnahmen bewertet, Kosten und Ressourceneinsatz abschätzt, Wechselwirkungen berücksichtigt und somit auch eine fundierte Priorisierung ermöglicht. Diese Mammutaufgabe haben wir in zwei Parts geteilt und vergeben. Das Grobkonzept bietet nun die erste Orientierung, die im zweiten Schritt zu einem Klimafahrplan ausgearbeitet werden soll.“
Ergebnisse zeigen Herausforderungen und Risiken für verschiedene Szenarien
Die Autoren konstatieren im Grobkonzept, dass die Transformation hin zur Klimaneutralität zweifellos Herausforderungen und Risiken berge. Die Risiken eines “Weiter-so” seien allerdings ungleich gravierender. Ein steigender CO2-Preis könne z.B. Kosten für fossile Energieträger in den kommenden Jahren erheblich erhöhen, wodurch sowohl Haushalte als auch Unternehmen steigenden finanziellen Belastungen ausgesetzt wären. Gleichzeitig sei Kassel auch auf eine günstige Förderkulisse und entsprechende gesetzgeberische Flankierungen durch Land, Bund und Europa angewiesen.
In dem Szenario 2040 gehen die Autoren von einem umfassenden Ausbau erneuerbarer Energien aus, der bis 2040 den gesamten Strom- und Wärmebedarf der Stadt abdecken könne. Durch Sanierungen, Verhaltensänderungen und Effizienzmaßnahmen im Bereich der Strom- und Wärmenutzung werde der Energiebedarf im stationären Sektor bis 2040 signifikant gesenkt. Die Technologiewende im Bereich Wärme werde durch städtische Maßnahmen wie die kommunale Wärmeplanung beschleunigt, wobei das vollständige Ende fossiler Heizungen erst nach 2040 erwartet wird.
Im Szenario wird der Anteil des PKW-Verkehrs durch sogenannte Push- und Pull-Maßnahmen bis 2040 signifikant reduziert. Ausbau und Dekarbonisierung des ÖPNV erfolgen bis in die 2030er Jahre. Die Elektrifizierung des PKW-Verkehrs könne durch städtische Maßnahmen beschleunigt werden, wird jedoch bis 2040 aufgrund durchschnittlicher Haltedauern noch nicht vollständig umgesetzt sein. Die Klimaneutralität des Wirtschaftsverkehrs könne hingegen weitreichender erreicht werden.
Im Szenario spielt auch der Bau einer Carbon Capture, Utilization, and Storage-Anlage (CCUS) eine wichtige Rolle, um die Emissionen aus der Müllverbrennung zu binden. Darüber hinaus werde mit einer Reduktion des Methanausstoßes in der Landwirtschaft gerechnet sowie mit der Pflanzung 10.000 zusätzlicher Bäume. Die verbleibenden 5 Prozent der Emissionen im Jahr 2040 könnten durch Kompensationsmaßnahmen und in Konformität mit internationalen Bilanzierungs- und Zielerreichungsstandards ausgeglichen werden.
Die Autoren schreiben, dass es auch nach Erreichen der Klimaneutralität im Jahr 2040 weiterhin erforderlich bleibt, Maßnahmen umzusetzen. Insbesondere der vollständige Ersatz fossiler Heizungen sowie die Abkehr von fossil betriebenen Verbrennern seien gemäß nationaler bzw. EU-Gesetzgebung verpflichtend.
Rechtliche Einschränkungen
Eingeschränkt sind kommunale Hebel und Ambitionsniveaus dort, wo die Stadt selbst keine Gesetzgebungs- oder Regelungskompetenz hat. Gewichtige Beispiele sind insbesondere fossile Heizsysteme, die gemäß Gebäudeenergiegesetz (GEG) noch bis Ende 2044 betrieben werden dürfen, sowie benzin- und dieselbetriebene Fahrzeuge, die nach den Vorgaben des EU-weiten Fit-for-55-Pakets bis Ende 2034 weiterhin neu zugelassen werden können.
Nächste Schritte
Das weitere Vorgehen skizziert Stadtklimarätin Simone Fedderke wie folgt: „Wir diskutieren die Ergebnisse des Grobkonzepts mit den Stadtverordneten und im Klimaschutzrat. Dabei wollen wir insbesondere auch Impulse für die weitere Bearbeitung des Klimafahrplans aufnehmen. Anschließend werden wir den Startschuss geben für den zweiten Part: Die Erarbeitung des Feinkonzepts, des eigentlichen Klimafahrplans.“