KISS Interview: Selbsthilfegruppe Trauma und Sucht "SCHATZ"

Interview im KISS Selbsthilfemagazin 2018

„Man kommt sich nicht mehr falsch vor“
Selbsthilfe für traumatisierte Frauen mit Suchterfahrung ermöglicht Austausch und Verständnis

Sucht kann der missglückte Versuch sein, mit traumatischen Erlebnissen umzugehen und sie zu bewältigen. Deshalb ist es wichtig, nicht nur die Sucht, sondern auch die Folgen eines Traumas zu bearbeiten. In Kassel existiert seit etwa einem Jahr eine Selbsthilfegruppe für Frauen zum Thema „Sucht und Trauma – SCHATZ“.

„SCHATZ“ steht für Stabilität, Chance, Hilfe, Anfang, Träume und Zuversicht. Eine Selbsthilfegruppe kann auch so wertvoll wie ein Schatz sein, schlägt Gruppengründerin Tsekyi Thür als weitere Interpretation vor. Der Name ist von ihr und einer Freundin, mit der sie die Gruppe gemeinsam gründete. Als beide an einem Therapieprogramm für Trauma und Sucht teilnahmen, wurde dort zwar über Sucht und über Trauma geredet, jedoch stand die Bearbeitung festgelegter Themen im Vordergrund. Auf die Erfahrungen mit Substanzen sowie auf die selbst erlebten Traumata durfte aus therapeutischen Gründen nicht näher eingegangen werden. Sprach sie in ihrer Sucht-Selbsthilfegruppe das Thema Trauma an, fühlte die Gruppe sich überfordert. Die beiden Frauen beschlossen: Wir brauchen eine Gruppe, in der beides zum Thema werden kann und gründeten die Selbsthilfegruppe.

Ohne Angst alles ansprechen
Sechs Frauen treffen sich mittlerweile wöchentlich, sie alle haben häufig schon in der Kindheit Erfahrungen mit Gewalt oder sexuellem Missbrauch gemacht. Weil alle die Folgen solcher traumatischen Erfahrungen kennen, sind keine langen Erklärungen nötig. Die Anderen wissen, was ein Trigger ist, der negative Gefühle aus der Vergangenheit erneut auslöst. Für Tsekyi Thür sind das beispielsweise manche laute Geräusche wie Donner. „Ich falle dann in eine Schockstarre.“ In der Selbsthilfegruppe können sie ohne Angst alles ansprechen und werden verstanden. „Niemand wird abgewertet und man kommt sich nicht mehr aussätzig und falsch vor.“ Frauen hätten ihr bereits gesagt: „Hier habe ich das erste Mal das Gefühl, dass ich richtig bin.“

Abgrenzung und Alltag
Häufig werden alltägliche Probleme zum Thema gemacht und wie diese zu bewältigen sind. Eine Frau will beispielsweise mit ihrem Arzt über ihre Unzufriedenheit reden und traut sich nicht. Andere Frauen berichten, wie sie solche Situationen gelöst haben. Abgrenzung ist ebenfalls ein großes Thema, ebenso wie der Umgang mit Triggern. Jedes Gesprächsthema ist gestattet, sogar das Sprechen über ein Trauma. Wenn es einer Frau deshalb schlecht geht, bleiben andere freiwillig länger im Gruppentreffen, bis sie sich wieder stabil fühlt. Die meisten Frauen sind zudem therapieerfahren und können mit Krisen umgehen. Mittlerweile ist ein großer Zusammenhalt unter den betroffenen Frauen entstanden, die sich auch über eine WhatsApp Gruppe austauschen.

In der Gruppe wird trotz des ernsten Themas oft gelacht, sagt die Gruppengründerin. Ziel ist, den Alltag anders zu bewältigen und sich an das zu erinnern, was die Frauen im Leben schon hinbekommen haben, um aus alten Gleisen auszubrechen und vielleicht sogar an Träume anzuknüpfen.

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