KISS Interview: Narcotics Anonymous (NA)

Interview im KISS Selbsthilfemagazin 2020

Klare Regeln im Zwölf-Schritte-Programm
Gruppen von Narcotics Anonymous: Gemeinsam aus der Drogensucht – der Prozess der Genesung

In den Gruppen der Narcotics Ano­nymous (NA) treffen sich Menschen, die Probleme mit Drogen sowie den Wunsch haben, ihren Konsum zu beenden. In Kassel gibt es mittler­weile drei NA-Treffen, bei denen Abhängige gemeinsam mit dem Zwölf-Schritte-Programm daran arbeiten, ihren Alltag ohne Sucht­mittel zu bewältigen und neue Werte zu entwickeln. Der „Junkie“, der nur Heroin nimmt, ist zur Seltenheit geworden. Die Menschen, die bei NA Hilfe suchen, sind fast immer von mehreren Dro­gen abhängig. Konsumiert werden Cannabis und Kokain, Medikamente wie Aufputsch- und Beruhigungs­mittel, noch immer spielt Valium eine große Rolle. Hinzu kommen synthetische Substanzen wie Ecstasy, Amphetamine oder Speed, alle diese Drogen werden oft gleichzeitig mit Alkohol genommen. Der Mischkonsum ist mittlerweile zum Normalfall geworden.

„In den Meetings der NA-Gruppen sitzen Abhängige vom Teenager bis ins Rentenalter aus allen Gesell­schaftsschichten“, erzählt einer von ihnen, den ich für den Artikel im KISS Magazin interviewen durfte. Er möchte für den Artikel am liebsten einfach nur Gruppenteilnehmer, NA-Mitglied oder Member (englisch Mit­glied) genannt werden. Denn zum ei­nen geht es nicht um ihn, sondern um Narcotics Anonymous. Zum anderen gewährleistet NA strikte Anonymität, alle Teilnehmenden sprechen sich nur mit dem Vornamen an.

Die innere Einstellung verändern
Viele finden den Weg zu den Gruppen über Institutionen oder aus Therapie und Entgiftung des Ludwig-Noll-Krankenhauses. Selbsthilfe kennen­zulernen ist dort Teil des Klinik-Programms. Auch informiert NA in dem Krankenhaus, in Gefängnissen oder Beratungsstellen mit Flyern über sein Selbsthilfe-Angebot. Drei Meetings an verschiedenen Wochen­tagen finden in Kassel mittlerweile statt. Ziel ist, an jedem Wochentag ein Treffen anzubieten als Hilfe­stellung dabei, „gemeinsam clean zu bleiben“ und andere „genesende Süchtige“ – wie es bei NA heißt – zu treffen. Teilnehmen können alle, die aufhören wollen, Rauschmittel zu nehmen – egal, ob legale oder illega­le Drogen oder Alkohol. Clean zu sein ist keine Voraussetzung, allerdings sind Substanzen oder Substanzzube­hör bei den Treffen ebenso verboten wie Gewalt. Mittlerweile kommen in Kassel 30 bis 40 Teilnehmende, pro Meeting schwankt die Zahl zwischen acht und 25.

Meetings mit klaren Regeln
Zu Beginn eines Meetings liest eine Chairperson gemeinsam mit anderen die Regeln vor sowie Auszüge aus der NA Literatur. In einer vorgegebenen Redezeit kann danach jeder über al­les sprechen, die anderen hören ihm oder ihr zu. Weder gibt es Diskussi­onen noch Ratschläge. Diese klaren Regeln hält der Interviewpartner von NA für ausgesprochen hilfreich. Neue Teilnehmende bekommen ei­nen „Sponsor“ an die Seite gestellt, einen erfahrenen „genesenden Süchtigen“. Dieser Sponsor arbei­tet mit ihnen auch außerhalb der Meetings vor allem an dem Zwölf- Schritte-Programm. Richtschnur dafür ist ein vorgegebener Leitfaden. Die Fragen zum Programm werden schriftlich bearbeitet und gemeinsam besprochen. Der Sponsor ist auch Ansprechpartner bei Schwierigkeiten und Krisen. Allerdings soll die Initia­tive von dem genesenden Süchtigen selbst ausgehen. Er soll selbst erken­nen, wann er Hilfe braucht und diese einfordern.

Um eine Abhängigkeit zu überwinden genügt es nicht, die Drogen wegzu­lassen. „Drogen und Alkohol waren nie mein Problem, sie waren ein un­tauglicher Lösungsversuch, der wei­tere Probleme verursacht hat. Nach­dem ich mit dem Konsum aufhörte, stellte ich fest, dass meine ursprüng­lichen Probleme immer noch vorhan­den waren. Mit dem Zwölf-Schritte-Programm ging ich diese Probleme an“, sagt das Gruppenmitglied. Mit Hilfe des Programms gelingt es zu verstehen, was die Drogen aus einem selbst und mit dem Umfeld gemacht haben und man begreift, dass der Konsum eine Reaktion auf die eige­ne Lebensgeschichte ist. Ein erster Schritt ist das Eingeständnis der Machtlosigkeit vor der Sucht.

Daraus resultiert die Kapitulation und es entwickelt sich durch das Beispiel der anderen genesenden Süchtigen der Glaube, dass eine Gesundung möglich ist. Eben diese Genesung erlebt ein Teilnehmender bei den anderen, denen NA geholfen hat und die verantwortlich und anders mit sich und ihrem Leben umgehen. Deren Beispiel kann er nach und nach folgen. Ein ständiger Prozess, sagt der Interviewpartner, in dem es gilt, die Vergangenheit zu verarbeiten und zu einem Gefühl von eigenem Wert zu finden.

Achtsamkeit und neue Werte
Die Arbeit an den Zwölf Schritten, erläutert er weiter, stellt Achtsamkeit her und führt zu einem spirituellen Erwachen. Im zweiten Schritt des Programms geht es um eine „höhere Macht“, wobei es jedem selbst über­lassen bleibt, diese höhere Macht zu definieren. Durch die Schritte würden Werte wie Demut und Nächstenliebe wichtig und die Mitglieder lernen, ihren Alltag anders zu bewältigen und mit Hilfe der neuen Werte zu gestalten. Statt einer selbstzent­rierten Angst, die sie davon abhielt Gefühle zuzulassen, lernen sie, diese Gefühle zu zeigen und auszuhalten. Sie laufen vor den Konsequenzen ihrer Sucht nicht weg, sondern lernen zu akzeptieren: Das bin ich. Damit übernehmen sie Verantwortung für sich und ihr Leben. Wobei bei NA die Devise gilt: „Ich bin immer nur für heute clean.“

Dem Interviewpartner von NA gelingt seit 18 Monaten ein Leben ohne Rückfall. Wobei er dieses Ziel einzig mit Hilfe von NA erreicht hat. Andere machen zusätzlich noch eine Therapie. Gruppenteilnehmende wie er, die es schaffen ohne Drogen zu leben, machen Mut. Sie helfen den anderen, an sich und an die eigene Möglich­keit zu glauben, ohne Suchtmittel zu leben.

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