KISS Interview: Deutsche ILCO, Selbsthilfegruppe

Interview im KISS Selbsthilfemagazin 2016

Raus aus Rückzug und Isolation
Gruppe in Kassel der Deutschen Ilco für Menschen mit künstlichem Darmausgang

Jedes Jahr erkranken 70 000 Menschen an Darmkrebs. Viele davon leben nach einer Operation mit einem Stoma, nicht nur mit künstlichem Darmausgang, sondern nach Blasenkrebs auch mit künstlicher Blasenableitung. Doch das Thema ist unangenehm, es wird vermieden und verschwiegen. Deshalb sind Informationen und der Austausch mit Gleichbetroffenen hilfreich, um Rückzug und Isolation zu verhindern. Hannelore Böttcher leitet die Gruppe Kassel der Deutschen ILCO, dem Selbsthilfeverband für Stomaträger und Menschen mit Darmkrebs.

Als Hannelore Böttcher vor zwei Jahren die niederschmetternde Diagnose Darmkrebs bekam, wünschte sie sich einen Austausch mit anderen Betroffenen. Doch die Kasseler Gruppe der Deutschen ILCO existierte nicht mehr. Sie wandte sich an den hessischen Landesverband, deren Vertreter ihr Mut machte, die Kasseler Gruppe wieder zu beleben. „Frau Jantzen (Leiterin der KISS) und die KISS waren ebenfalls sehr hilfreich“, erinnert sich Hannelore Böttcher und so wagte sie den Neustart und übernahm die Gruppenleitung. Darmkrebs muss nicht zwangsweise ein Stoma zur Folge haben. Manchmal ist eine Tumorentfernung ohne „sichtbare Folgen“ erfolgreich oder ein Stoma wird nur zeitweise angelegt und kann wieder rückverlegt werden. Andererseits gibt es neben Tumoroperationen auch entzündliche Darmerkrankungen, die die Anlegung eines Stomas erforderlich machen. Alle diese Patienten sind in der Gruppe der Deutschen Ilco willkommen. Zwar werden alle Stomaträger von erfahrenen Stomatherapeuten angeleitet und begleitet. Trotzdem gewann Hannelore Böttcher den Eindruck, dass Stomaträger oft unzureichend informiert sind. Nach dem eigentlichen medizinischen Eingriff werden viele mit ihren Fragen alleine gelassen. Die Gruppe hilft dabei, Antworten zu finden. Dafür dienen neben dem Erfahrungsaustausch fachliche Informationen von Referenten und Ärzten.

Praktische Hinweise
Zu solchen Informationstreffen kommen je nach Thema bis zu 30 Interessierte, zu den Gruppentreffen zwischen zehn und zwölf Betroffene und deren Angehörige, die ebenfalls willkommen sind. Der Altersdurchschnitt der Gruppe liegt zwischen 50 und 80 Jahre, denn Darmkrebs tritt häufig in der zweiten Lebenshälfte auf. „Als Neubetroffene habe ich sehr von den erfahrenen Mitgliedern profitiert“, sagt Hannelore Böttcher. Andere Betroffene mit Stoma können sehr praktische Hinweise geben. Beispielsweise zum Umgang mit Allergien oder Entzündungen, die als Folge des künstlichen Darmausgangs entstehen können. Fragen der Ernährung spielen eine Rolle und ebenso, wie Durchfälle oder manchmal auch Verstopfungen vermieden werden können. Neben praktischen Fragen ist die psychische Aufarbeitung der Krebserkrankung und des Stomas Thema. Scham und Angst vor peinlichen Situationen können Folge eines künstlichen Darmausgangs sein. Die Betroffenen isolieren sich und ziehen sich zurück. Was tun, wenn man in der Straßenbahn sitzt und der Beutel läuft voll? Wo ist die nächste geeignete Toilette, die es ermöglicht, den Beutel zu leeren? Was, wenn keine da ist?

Ängste überwinden
Die Erfahrungen von langjährigen Stomaträgern, die solche Situationen erlebt haben und mittlerweile gelassener betrachten, ermutigen und helfen, eigene Ängste zu überwinden. Ziel ist, das Stoma als Teil des eigenen Lebens zu akzeptieren und sich nicht dafür zu schämen. „Wir müssen raus aus der Schmuddelecke“, sagt Hannelore Böttcher.

Mehr zur Gruppe finden Sie  hier (Öffnet in einem neuen Tab)