KISS Interview: Selbsthilfegruppe CRPS

Interview im KISS Selbsthilfemagazin 2020

Wissen und Fähigkeiten einsetzen
Die Selbsthilfegruppe CRPS setzt sich für eine adäquate Versorgung von Schmerzpatienten ein

Ein Sturz auf beide Hände im Jahr 2008 änderte für Marion-Sybille Burk ihr komplettes Leben. Nach den Operationen an beiden Händen entwickelte sich bei ihr ein komplexes regionales Schmerzsyndrom, CRPS, eine seltene Erkrankung. Die Apothekerin gründete eine Selbsthilfegruppe in Darmstadt. Seit September vergangenen Jahres leitet sie eine zweite Gruppe in Kassel. Zusätzlich engagiert sie sich im CRPS Netzwerk mit dem Motto „Gemeinsam stark“ auf Bundes- und Landesebene politisch und in der Öffentlichkeitsarbeit, so ist sie Vorsitzende des Hessischen Landesverbands des Netzwerks.

KISS-Magazin: Frau Burk, seit wann wissen Sie, dass Sie CRPS haben?

Marion-Sybille Burk: Seit 2011. Es dauerte nach meinem Sturz und den Operationen fast zwei Jahre bis zur Diagnose. Ich hatte schon Schmer­zen, doch man fand keine körperliche Ursache. Ich hatte die Vermutung, dass es CRPS ist und habe viele Ärzte aufgesucht. Ich bekam Sätze zu hö­ren wie „Gehen Sie zum Psychiater“ oder „Ach, die Frau Burk fühlt sich wieder alleine gelassen.“ Anfangs habe ich viel geweint, weil ich mich hilflos und tatsächlich alleingelassen fühlte. 

KISS-Magazin: Welche Folgen hatte CRPS für Ihr Leben?

Marion-Sybille Burk: Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. CRPS verändert das Leben der Be­troffenen komplett Ich hatte horren­de brennende Schmerzen, Berührung an den betroffenen Armen löste wei­tere Schmerzempfindungen aus. Ich war ein aktiver Mensch, musste den Leistungssport aufgeben und konnte auch meinen Beruf als selbstständige Apothekerin nicht mehr ausüben. Auch den Haushalt konnte ich nicht mehr bewältigen. Mein Selbstwert litt und ich fragte mich, wofür ich überhaupt noch da war.

KISS-Magazin: Wie sind Sie dann zur Selbsthilfe gekommen?

Marion-Sybille Burk: Nach vier Jahren wurde mir klar, dass ich eine Aufgabe brauchte. Bei einem Sym­posium in Bremen traf ich andere Betroffene. In Köln gab es bereits eine Gruppe, in 2014 gründete ich dann selbst eine Selbsthilfegruppe in Darmstadt. Jetzt ist in Hessen Kassel dazugekommen. Kassel ist für seltene Erkrankungen wie CRPS ein guter Ort, die Stadt liegt in der Mitte Deutschlands und ist gut erreichbar. 

KISS-Magazin: Was sind Themen in der Gruppe und was kann Selbsthilfe für Betroffene bewirken?

Marion-Sybille Burk: Sehr wertvoll ist, in der Gruppe aufgefangen zu werden. Die Betroffenen müssen sich nicht erklären, sie werden ernst genommen mit ihren Schmerzen und Beschwerden, die ja auch psychisch schwer zu verkraften sind. Selbst nach der Diagnose glauben viele Mitmenschen nicht, wie schlimm die Schmerzen sind. Die Gruppe unterstützt und stärkt die Betroffenen, sie sind nicht falsch oder weniger wert. Viele Erkrankte trauen sich aus Angst vor Schmerz auslösenden Berührungen nicht mehr unter Menschen. Auch bringt dieser Berührungsschmerz Probleme für die Partnerschaft mit sich. Der Erfahrungsaustausch über mögliche Therapien und kompetente Ärzte hilft – viele Ärzte wissen gar nicht, was CRPS ist. Wir müssen uns selbst informieren. Die Gruppe kennt die kompetenten Ansprechpartner für Reha, Therapie oder Psychotherapie für diese Erkrankung. In der Gruppe trauen sich die Teilnehmenden Fragen zu stellen, die sie beim Arzt nicht stellen würden. 

Ein weiterer Punkt sind Probleme mit Institutionen. Die Berufsgenossen­schaften wehren sich beispielsweise oft, CRPS als Folge eines Arbeitsun­falls anzuerkennen. Aber auch bei Auseinandersetzungen mit Kranken­kassen über die notwendigen Heil- und Hilfsmittel unterstützen wir unsere Mitglieder. Selbsthilfe stärkt den Rücken sich durchzusetzen oder beim Arzt nachzufragen, wenn man etwas nicht verstanden hat.

KISS-Magazin: Sie engagieren sich auch im Landes- und Bundesverband in der Öffentlichkeitsarbeit und mit politischen Forderungen und sind Vorsitzende des Hessischen Landes­verbands des Netzwerks. 

Marion-Sybille Burk: In Deutschland gibt es sechs Millionen chronische Schmerzpatienten und nur rund 1000 Schmerzmediziner. Die Versorgung ist nicht gut, weder ambulant noch stationär. Hier muss auf politischer Ebene etwas getan werden. Das wird Zeit brauchen, ist aber dringend nötig. Die Kostenübernahme für stationäre Schmerztherapien wird vom medizinischen Dienst oft abgelehnt, dabei ist sie nachgewiesen die erfolgreichste Therapie bei CRPS und anderen chronischen Schmerzen. CRPS ist ein Notfall, denn je schneller es diagnostiziert und behandelt wird, umso größer sind die Chancen, dass es gut verläuft. Gemeinsam mit Dr. Andreas Böger, dem Leiter des Schmerzzentrums Kassel, organisiere ich für die CRPS Hessen Landesgruppe alljährlich das Nationale CRPS Symposium. Dieses Jahr muss es auf Grund von Corona ausfallen. Im kommenden Jahr wird es am 1. No­vember in der Vitos Orthopädischen Klinik Kassel stattfinden. 

KISS-Magazin: Was hat es mit der Farbe Orange und der orangen Schleife auf sich? 

Marion-Sybille Burk: Die orange Schleife ist eine Idee aus den USA. Analog zur roten Schleife bei Aids soll sie das Thema CRPS in die Öffentlichkeit transportieren. Der erste Montag im November ist jähr­lich der Tag mit dem Motto: Färbe die Welt orange! Dieses Jahr ist dies der 2. November, kommendes Jahr der 1. November.  Zur Öffentlichkeitsarbeit gehört zum Beispiel die Teilnahme am Kongress für seltene Erkrankungen, der jähr­lich im Februar in Frankfurt stattfin­det. Das CRPS Netzwerk verteilt und verschickt viele Flyer und Broschüren zur Information über die Erkrankung und die Gruppen. Wir wollen auch in die Fachöffentlichkeit wirken und auf Medizinerseite bekannt werden. 

KISS-Magazin: Hat Ihnen Ihr Engagement persönlich geholfen? 

Marion-Sybille Burk: Durch CRPS und die Selbsthilfe habe ich gelernt, dass ich auch ohne Leistungsgedanken ein wertvoller Mensch bin. Hier kann ich mein Wissen und meine Fähigkeiten einsetzen, in dem Umfang, wie es mir möglich ist. 

KISS-Magazin: Frau Burk, vielen Dank für das Gespräch.

Infos zu: Komplexes regionales Schmerzsyndrom – CRPS
CRPS steht für komplexes regionales Schmerzsyndrom (engl. Complex regional pain syndrome, CRPS), früher bekannt als Morbus Sudeck. CRPS ist eine Folge von Verletzungen, die durch Unfälle oder operative Eingriffe entstehen. Das Syndrom kann auch nach Bagatellverletzungen wie einer Schürfwunde oder einem Mückenstich auftreten. Nach einiger Zeit entstehen in der betroffenen Region plötzlich Schmerzen, oft sehr heftige. Am häufigsten sind Arme oder Beine betroffen. Weitere Symptome sind unter anderem: Störung der Körperwahrnehmung, Überempfindlichkeit auf Berührung, gestörte Beweglichkeit oder Wassereinlagerungen, Kraftverlust und Funktionsverlust in den betroffenen Extremitäten. CRPS tritt nach Frakturen bei etwa ein bis zwei Prozent der Patienten auf, nach peripheren Nervenverletzungen bei ungefähr zwei bis fünf Prozent. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Insgesamt gibt es in Deutschland ca. 87 000 Betroffene, jährlich kommen etwa 2 500 Neuerkrankungen hinzu. Leider bleiben noch immer viele CRPS-Erkrankungen unerkannt. Die Krankheit kann individuell unterschiedlich verlaufen. Wird CRPS früh erkannt und behandelt, können bei unkompliziertem Verlauf bei über der Hälfte der Patienten die Beschwerden nachlassen oder verschwinden.
Quelle: www.netdoktor.de

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